“Weil du arm bist, musst du früher sterben!” Der Satz klingt nach linker Agitation. Er ist aber das übereinstimmende Ergebnis zahlreicher internationaler wissenschaftlicher Studien. Er beschreibt ein eklatantes Qualitätsdefizit der medizinischen Versorgung. Die Wissenschaft liefert bis heute keine Antworten auf viele damit verbundene Fragen:
- Warum sind die “Armen” kränker und sterben (bis zu zehn Jahre) früher?
- Warum sind (immer mehr) “Arme” arm?
- Wer und wo sind diese “Armen”?
- Was müsste geschehen, damit “Arme” genauso gesund blieben und genauso lange lebten wie die übrige Bevölkerung?
Die Medizin als Wissenschaft – speziell die Medizinsoziologie – kann oder will diese Fragen nicht eindeutig beantworten. Es gibt keine allgemein anerkannte soziologische Theorie über den Zusammenhang von sozialer Ungleichheit und Krankheit. Bei der Formulierung solcher (“objektiver”) Theorien stört die bunte Lebenswirklichkeit und wird ausgeblendet. Soziologische Zeitdiagnosen dagegen werden in der Lebenswirklichkeit gestellt und können Erkenntnisse liefern, die auch (Be-)Handlungsmöglichkeiten aufzeigen und die obigen Fragen beantworten. Bernd Kalvelage hat dreißig Jahre als Arzt eine Praxis in einem “armen” Hamburger Stadtteil geführt. Er nennt sich selbst “parteiisch” gegenüber den “Armen”. Aber ergreift die Wissenschaft nicht objektiv ebenso Partei?
Bernd Kalvelage ist Internist und Autor des Buches “Klassenmedizin – Plädoyer für eine soziale Reformation der Heilkunst”